März 31, 2022

Gentrifizierung auf dem Stellplatz

Kaum ein Thema wird in den sozialen Medien der Wohnmobilisten so kontrovers diskutiert wie die gefühlte Stellplatzknappheit und, zumeist subjektiv erlebte, Preissteigerungen jeglicher Couleur. Jede Diskussion folgt dabei streng dem Schema : Kurz die eigene Meinung in wenigen kantigen Worten beisteuern, ein langer Exkurs in die Ausstattung des SP und Nutzung bzw. Nichtnutzung der eigenen Dusche/Toilette, Like-Hashing für die beiden gegenteiligsten Meinungen „Alles Abzocke!“ und „Wohnmobil gekauft, aber kein Geld für den Stellplatz?“ und final die Diskreditierung der Rentner, Neu-Camper, Van-Life Generation und überhaupt der Staat ist schuld und alle anderen sollten nicht fahren. Danach wird die Kommentarfunktion geschlossen und die geneigten Kommentatoren warten sehnsüchtig auf den nächsten Beitrag um das Spiel von vorne zu beginnen.

Das, was wir in der Wohnmobilgemeinde derzeit erleben und mit Ausdauer diskutieren ist, neben der grundsätzlichen Angebot-Nachfrage Problematik, auf dem Wohnungsmarkt längst allgegenwärtig – Wohnraumknappheit durch Gentrifizierung. Doch kann man den Begriff wirklich auf unsere Situation anwenden? Und wie können wir reagieren?

Gentrifizierung

Beginnen wir mit der Definition des Begriffes und ersetzen einfachheitshalber Begriffe, die sich auf den Wohnungsmarkt beziehen, durch unsere Camper-Terminologien. Der Begriff „gentrification“ bezogen auf Stellplätze beschreibt die Umbrüche in der sozialen Zusammensetzung bestimmter Stellplätze, zeitgleich mit der Steigerung des Preises für den Aufenthalt und Veränderung der Bausubstanz, z. B. durch Renovierung (Stellplatzbefestigung, „Parzellierung“) oder Erweiterung der Ausstattung (Toilette/Dusche, WLAN, Strom, automatische Kassen). Damit einher geht die Aufwertung des symbolischen Wertes eines Stellplatzes.
Daher bezeichnet man als Gentrifizierung in unserem Fall die Aufwertung eines Stellplatzes der meist an beliebten Urlaubszielen liegt. Vor der Gentrifizierung sind die Stellplatzverhältnisse in diesem Falle eher schlicht, was sich z. B. durch unbefestigten Untergrund, einfachste Infrastruktur und (vermeintlich!) einkommensschwächerer Benutzergruppen äußert. Der Stellplatz besitzt zu diesem Zeitpunkt einen sowohl symbolischen als auch reellen niedrigen Wert. Eine Aufwertung des Stellplatzes zieht (vermeintlich!) Einkommensstärkere an, die wiederum die ehemaligen Nutzer verdrängen.

Bei der Gentrifizierung eines Stellplatzes findet somit nicht nur eine bauliche Transformation statt, sondern parallel zu dieser auch der Austausch der dort Urlaubenden durch eine (vermeintlich!) statushöhere Bevölkerung.

Stellplatz Eckernförde

Ein schönes Beispiel ist der alte Stellplatz P1 „Grüner Weg“ in Eckernförde. Diesen haben wir bis 2015 regelmäßig besucht. Oftmals erst um 16:00 angekommen und am nächsten Tag nach dem Frühstück um 10:00 weiter – für sage und schreibe 3€! In 2015 wurde dieser geschlossen, bzw. nur noch für Wohnmobil Tagesgäste mit maximaler Aufenthaltsdauer von 4 Stunden (max. 6€) zugelassen. Für lange Wohnmobile und die Liner-Klasse war der Stellplatz nur bedingt bzw. nicht geeignet.

Alter Stellplatz bis 2015, 1€/h 09:00-18:00 (Übernachtung umsonst)
klassischer Parkplatzcharme


Im Jahr 2022 ist es beim 2015 eröffneten Nachfolger „Am Noor“ auch in der Woche bei schönem Wetter oftmals nicht mehr möglich erst nach 16:00 anzureisen. Man merkt mit den gestiegenen Wohnmobil-Zulassungen der letzten Jahre das es nicht nur gefühlt enger wird. Hier wirkt sich zudem die Beschreibung in den Fachzeitschriften und diverse Influencer durch eine höhere, vor allem ganzjährige Auslastung aus. Auch die Liner-Klasse findet hier genügend Platz. Für den gleichen Zeitraum werden jetzt 20€ fällig (24h-Satz).

Neuer Stellplatz ab 2015, 20€ 24h
Toilette/Dusche/WLAN/Abwaschen
mehr CP-Charakter

Trotz oder gerade wegen dieser Veränderungen bleiben wir hier auch gerne mehrere Tage, was beim Vorgänger (offiziell ;-)) nicht möglich war.

Gründe für die gestiegene Auslastung gegenüber dem alten Platz

  • Geschicktes Marketing : Fachzeitschriften, diverse Influencer und regelmäßig auf dem Siegertreppchen bei diversen SP-Wahlen
  • Zusätzliche Ausstattung, insbesondere Toilette und Dusche zieht auch vormals typische CP-Zielgruppen sowie Van-Life Enthusiasten (kurze Erholung und langes duschen) und umgebaute Mini-Camper mit Wohnmobilzulassung an
  • Längere Fahrzeuge und Liner finden genügend Platz
  • Campingverhalten ist, in beschränktem Rahmen, erlaubt
  • Stark gestiegene Zulassungszahlen seit 2019

Auswirkungen auf unser persönliches Reiseverhalten

Da bei uns der Weg das Ziel ist (also mehrere Punkte anfahren) können wir die Preise dieses Platzes und anderer Plätze ganz gut verkraften. Wir geben entweder weniger Geld in Eckernförde bzw. anderen Orten aus oder suchen uns zur Kompensation auf unserem Weg kostengünstige Plätze. Dieses Verhalten nennt man Substitution. Der Begriff ist aber nur so anwendbar, wenn ich die Kosten gesamthaft bewerte und den Verzicht auf weiteren Konsum (Essen, Einkaufen etc.) billigend in Kauf nehme. Ansonsten wäre es nur möglich einen günstigeren Stellplatz sehr weit von Eckernförde zu nehmen, was aber dem Verzicht gleich käme da ich die Vorteile des Platzes nicht in Anspruch nehme. Als letztes verbleibt die Möglichkeit die gestiegenen Platzkosten zu akzeptieren UND trotzdem Geld in Eckernförde direkt zu lassen. Dies ist als Konsum zu bezeichnen. Auf letzteres setzt man in Eckernförde und diese Rechnung scheint aufgrund der schieren Menge an Wohnmobilisten aufzugehen. Für Eckernförde muss aber auch gesagt werden das, wie im Wohnungsmarkt, Lage und Ausstattung den Preis sogar rechtfertigen – dies ist meine persönliche Meinung.

Mein Fazit

Aufgrund dieser Veränderungen lohnt es sich nicht lange zu lamentieren, eine Änderung des eigenen Verhaltens wie zuvor beschrieben ist das Einzige was kurz- und mittelfristig uns zumindest einige Urlaubsfreuden bereiten kann oder wir zahlen zähneknirschend den verlangten Preis. Während wir die Aufwertung der Stellplätze und die daraus resultierenden Preissteigerungen wohl akzeptieren müssen, sind aber auch bei Plätzen ohne Aufwertung, insbesondere den „Parkplätzen“, zunehmend Steigerungen erkennbar. Aber auch hier muss Preis-Leistung, in diesem Fall also die Lage und Sauberkeit, stimmen.
Das bisherige und auch nur ausnahmsweise Ausweichen auf ortsnahe Alternativen (Stw. Discounter-Parkplätze, Wanderparkplätze, Friedhöfe) ist aber in Zukunft keine wirkliche Option in beliebten Urlaubsregionen, da sich in diesem Bereich immer mehr Reglementierungen und Verbote ergeben werden. Diese Verbote beruhen zumeist auf der exzessiven Nutzung solcher Möglichkeiten durch Campinggruppierungen die sich genau diese Nutzung, vor allem an coolen Destinationen mit geöffneten Hecktüren, zum alleinigen Ziel gesetzt haben und ohne Rücksicht auf Verluste und dem sowieso schon beschädigten Ansehen des Wohnmobiltourismus auch durchziehen. Zudem suggerieren die in diesem Bereich medial tätigen Personen genau diesen vermeintlichen Freiheitsgrad als das einzig Wahre und es folgen immer mehr diesem Trend. ABER auch dort, genau wie bei uns „Oldschool“-Wohnmobilisten, wird der Tourismus final seine Kinder fressen.